“Man kann die Welt nicht nicht verändern!” oder: fairventure heißt “Vertrauen wagen”

(Eröffnungsbeitrag fairventure Kongress 2012)

Man kann die Welt nicht nicht verändern!

Jedes mal wenn ich darüber nachdachte, was es hier und jetzt an dieser Stelle zu sagen gäbe, kam ich auf diesen einen Satz zurück.

Natürlich kann man ihn sofort kritisieren und Abwägungen anstellen welche Handlungen und welche Anschauungen denn nun wirklich etwas verändern würde. Aber dabei übersieht man viel zu schnell an welchen Veränderungen man unbemerkt teilhat wenn man eben nicht engagiert und seinen Träumen und Idealen folgt.

Denn unsere Welt verändert sich, jeden Tag.
Und nun kommt es darauf an, wie bewussten man die Veränderung in die eine oder andere Richtung mitträgt.

Unsere Welt ist nicht statisch. Diesen Kampf haben Kopernikus und Galilei für uns geschlagen.
Unsere Welt ist nicht kompliziert, wie Newton noch hoffen durfte. Unsere Welt ist komplex, in jeder ihrer Facetten.

Nicht zuletzt aus der Ökologie haben wir lernen dürfen, das komplex bedeutet, dass jedes Teil eines solchen Systems, sei es in einem Biotop oder eine Gesellschaft, eine unbestreitbare und unvorhersagbare Wirkung auf das Ganze hat.

Niemand weiß welcher Schlag eines Schmetterlingsflügels einen Tsunami auslösen, einen Wald retten, oder eine Wahl in Amerika oder eine Abstimmung in Brüssel entscheiden wird. Selbst nicht im Nachhinein.

Und von der Evolutionstheorie haben wir gelernt, das sich das Neue gerade nicht aus Alten ableiten lässt und dass es in die Welt kommt als eben das, was über die Summe der bekannten Teile hinausgeht.

Die Ökologische Bewegung seit den 70ern hat dieses neue Bewusstsein um das Ganze auch ins gesellschaftliche und politische Bewusstsein gerufen.
Und ohne dieses Bewusstsein um das Ganze, wäre auch die Globalisierung nur eine Verlängerung von Zahlenreihen.

Aber gerade wenn es um Wirtschaft geht, erscheinen die Aufgaben nun in ihrer ganzen Komplexität, scheinen die Probleme unermesslich groß und bisweilen schlicht unlösbar zu sein. Jede vermeintliche Lösung birgt nur wieder Schwierigkeiten an anderer Stelle.

Und ein grundsätzliche Überdenken unserer eingeschliffenen Systems ist nach dem was ich gerade sagte fast unmöglich.

Denn, wie sollen wir als Teile des Alten plötzlich mit etwas Neuem aufwarten.

Allein die Notwendigkeit von großen Veränderung erkennt mittlerweile jeder.

Sie hält hunderttausende freiwillig in den Occupy Camps und unfreiwillig in Griechenland auf der Strasse, und beherrscht den Diskurs, überall auf der Welt.

Allein die hinreichenden Antworten auf die aufgeworfenen Fragen, hat niemand.

Zu dieser verzweifelten Situation gibt es in der Natur eine Analogie, die Norie Huddle schon in den 80ers beschrieb:

Hier ist ein Tier, das seit es aus einem Winzigen Ei geschlüpft ist nur einen Zweck verfolgte: Fressen und wachsen.

Und dabei fühlt sich die Raupe, soweit man ihr das unterstellen kann, Pudel wohl.

Aber irgendwann, und für jede Raupe ist dies das erste mal, dass sie davon erfährt, kommt sie an einen Punkt, wo weiter wachsen nicht mehr geht. Ihr Hormonhaushalt stellt auf Krise um, und das was folgt ist für die Raupe der absolute Horror.

Überall in ihrem Körper gibt es Zellklumpen, die sich für die Raupe wie Krebs gebärden. Sie ziehen Energie, sie wachsen, sie werden zur Bedrohung für Leib und Leben.*

Die Vorläufer dieser Inseln von Zellen gab es schon immer im Raupenkörper, aber sie waren klein und blieben es, aber jetzt nicht mehr.

Die Raupe zieht sich zurück, baut sich in der Verpuppung ihren eigenen Sarg, verkriecht sich wie ein Hund der sich zum Sterben in der hintersten Ecke des Gartens versteckt.

Und tatsächlich stirbt die Raupe. In der Puppe löst sich ihr Körper auf, sie erholt sich von der Krise nicht.

Nun können wir aber auch die Perspektive der Inseln einnehmen und zunächst scheint die Situation nicht viel besser.

Diese Zellen folgen ihrem inneren Drang und sind umgeben von einem Wirt, der sie bekämpft. Jede der Zellen versucht einer bestimmten eigene Form Ausdruck zu verleihen, einem neuen Bein, einem neuen Auge, einem Flügel,

Aber keine der Inseln repräsentiert etwas erkennbar Ganzes.

Sie sind allein, isoliert.
Wie Inseln in der Weite das Pazifik.

Aber auch wenn sie noch soweit auseinander liegen so gibt es doch am Meeresgrund einen verbindenden Sockel, der aber aus der Perspektive der Insel auf Meerniveau unsichtbar bleibt.

Und wenn sich diese Inseln zusammenfinden, sich der Meeresgrund hebt, wenn die Schmetterlingszellen im sich auflösenden Gewebe der Raupe wachsen und sich finden und begegnen, finden sie auch ihre gemeinsamen Form. Und wachsen gemeinsam, bis durch sie das Neue in Form eines Schmetterlings in die Welt kommt.

Und die Frage bleibt: Wie können wir uns so vernetzten, wie die Zell-Inseln in der Raupe, sodass wir dem Neuen eine Form geben können?

Durch das Internet sind wir bereits auf mannigfaltige weise virtuell vernetzt. Wer hier ist nicht Mitglied x-verschiedener online Communities und fragt nicht öfters einen Computer nach schnellen Antworten als seinen Nachbarn?

Und doch – bleibt wohl für alle auch die ernüchternden Erkenntnis, dass das wesentliche, für jede Analyse, für jede Technologie stets unsichtbar bleibt.

Jeder ist zunächst eine Insel.
Emergenz, das Hervortreten etwas Neuem in der Evolution, passiert grundsätzlich nur zwischen den Zeilen.

Und um daran teilzuhaben, müssen wir immer wieder den Blick öffnen, auf andere zuzugehen, die eigenen Gedanken fahren lassen und der Intuition, der Muse, dem Zufall und dem Heureka! eine Chance zu geben.

Dazu Bedarf es Mut, ein immenses Investment an Zeit und Ressourcen und eben Vertrauen.

Vertrauen auf das Neue, das wir noch nicht erkennen und auch nicht erkennen können, bis es Auftritt.

Goethe hat vor über 200 Jahrhunderten in einem Brief an Schiller geschrieben:
“Sein Jahrhundert kann man nicht verändern, aber man kann sich dagegenstellen und glückliche Wirkungen vorbereiten.”

Wir haben uns auf fairventure eingelassen in dem Bewusstsein, dass wir und niemand, den wir einladen können, auf die großen Fragen eine hinreichende Antwort geben kann.

Aber wir sind auch in dem Vertrauen angetreten, das bereits Viele, Viele dabei sind, die glücklichen Wirkungen vorzubereiten.

Wir haben Menschen zusammengebracht, die bereits im Bewusstsein der Veränderung und in Richtung auf anderer Inseln unterwegs sind.

Manche bringen dabei Jahrzehnte lange Erfahrung mit, manche das ganz frische Potential der ersten Schritte.

Alle haben Sie sich die Zeit genommen, in den nächsten anderthalb Tagen hier miteinander und von einandern zu lernen.
Viele haben uns geholfen und uns vertraut.

Dafür danke ich Ihnen allen, darauf freue ich mich mit Ihnen allen und damit heiße ich Sie herzlich Willkommen bei fairventure, 2012 in Leipzig.

* im Original von Norie Huddle wird beschrieben, dass das Immunsystem der Raupe, diese Zellen sogar bekämpfen würde. Darauf spielte ich auch in der vorgetragenen Version dieses Textes an. Dafür konnte ich aber später keine wissenschaftlichen Belege finden.

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