CCMag-Interview: Rolf Schilling (Deutsch)
Dieses Interview erschien im Community Currency Magazine (archive link), im April 2012
Die wichtigsten Themen in der KW Bewegung sind Fragen der praktischen Ausübung. Sowie im Talente System in Vorarlberg als auch im Regiogeld Verband sind wir momentan darauf ausgerichtet den Schwerpunkt weg von der Wissenschaft und hin zur praktischen Umsetzung zu vollziehen. Die Praxis ist oftmals nicht so einfach wie die Theorie das gerne hätte.
Top-down Implementierungen werden nie funktionieren. Man muss die Leute da abholen wo sie stehen und zusammen ein Gebäude erstellen. Das Design von einem Architekten machen zu lassen und später zu hoffen, dass die Bevölkerung den Entwurf absegnet kann heute nicht mehr funktionieren.
What recent developments in the field do you find most exciting?
In der Politik sind die Vorteile unserer Systeme bereits bis auf nationale Ebene vorgedrungen, da die Politiker den Handlungsbedarf erkannt haben um händeringend nach Alternativen suchen. Immerhin haben wir eine gewissen Erfahrungsvorsprung. Auch in Hinsicht besteht vor allem Interesse an den Zeitvorsorge Konzepten. Die Stadt St. Gallen wird dieses Jahr ein Pilotprojekt dazu einleiten.
And what do you see as key challenges, obstacles or blind spots which hinder the movement’s success?
Die gesetzlichen Rahmenbedingungen sind eine große Hürde, vor allem in Deutschland. Das Bundesbankgesetzt verbietet momentan grundsätzlich alle komplementären Währungen im eigentlichen Sinne und das Kreditwirtschaftsgesetzt verbietet es uns, Kredite und Mikrokredite zu vergeben. In Österreich trifft das nur auf die Kreditvergabe zu, private Gelder sind zulässig, solange sie sich nur auf den regionalen Bereich beschränken. Dies ist von der Finanzaufsicht bestätigt und ein großer Unterschied zur Situation zu Zeiten des Experiments von Wörgl. Erst mit der Euroumstellung wurde 1999 die seit damals geltende Notgeldverordnung abgeschafft. Steuer und Sozialversicherungen fragen sind zwar oft auch eine Hindernis, aber nicht in Hinsicht auf die Währung selbst, sondern eher in Bezug auf die Teilnahme-Möglichkeiten von Personen und Betrieben. Die Umsatzsteuer ist nach wie vor in Euro abzuführen und das schreckt viele Betriebe ab. Wir bieten immer die Option einer Mischkalkulation an und versuchen Wirtschaftskreisläufe sowohl auf der Einnahmen- als auf der Ausgabenseite in Regionalwährung zu rekonstruieren, um ihnen die Angst zu nehmen.
Aber die innere Einstellung gerade bei Betrieben bleibt dabei eine Hemmschwelle: “Jetzt haben wir doch gerade den Euro eingeführt”, sagen sie, “warum sollen wir dann schon wieder mit parallelen Währungen operieren?” Schon allein das Umtauschen stört viele.
Auch in der Politik tut man sich schwer, weil viele Gepflogenheiten schlicht buchhalterische Probleme aufwerfen, die zunächst geklärt werden müssen. In Bayern zum Beispiel ist eine zweite Währung in der öffentlichen Buchhaltung nicht zulässig, andere Bundesländer sind da flexibler. Das sind zwar eher praktische Probleme, Buchhalter und Steuerberater sind aber momentan unsere größte Last. Die wollen nichts neues entwickeln, der Euro ist schlicht zu bequem.
Where do you see untapped resources and unmet needs within the field of complementary currencies? And do you have any suggestions about how to bridge them?
In der Praxis sind es deshalb vor allem die 1-Mann-Betriebe mit Liquiditätsproblemen, die über Regionalwährungen eine Chance hätten, eine tragfähige Existenz abzusichern. Aber dazu bedarf es viel Vorlauf, um im Kopf ein Verständnis für das Thema und die Zweispurigkeit zu entwickeln. Das heißt, wir müssen zunächst Mittelständler angehen, die regional verankert sind und wirtschaftlich freie Ressourcen haben, und langfristig investieren können, um das Image zu fördern und ihren Standortvorteil auszubauen. Selbst die Bankfiliale bei uns in Vorarlberg haben wir auf diese Weise zur Kooperation gewonnen.
Besides financial support, what would help the acceleration of the monetary shifts that are needed?
Wenn kleinräumige Strukturen zerstört werden, fehlt den Menschen die Überlebensgrundlage. Ein LETS-maker aus Australien hat mir erzählt, dass die Türkei bereits ein System entwickelt hat, um eine regionale Versorgung für große Städte sicher zu stellen. Die Ernährung der Städte aus dem Umland braucht aber auch eine Umdenken in der Landwirtschaftspolitik, weg vom “bigger is better”.
In kleinen Infrastrukturen, wie z.b. Bergregionen, ist zu erwarten, dass weitere Kaufkraft und Infrastrukturverluste leichter mit Regionalwährungen ausgeglichen werden können. Gleiches gilt auch für Regionen in Ostdeutschland. Dazu kommen aller Orten die Themen Betreuung, Pflege, Generationenvertrag und Soziale Sicherungssysteme, die mittelfristig zusammenbrechen werden. Dadurch wird ein Paradigmenwechsel stattfinden müssen, denn die private Altersversorgung wird mit einen Dollar oder Euro Crash komplett wegfallen.
What could bring about a tipping point in the shift from a monopoly of bank debt money toward a monetary ecology? And is the idea of a “tipping point” the best way of thinking about that change?
Die Geldfrage ist bereits in Bewegung geworden. Alle großen Parteien sind mittlerweile drauf aufmerksam und offen geworden. Fatal ist nur, dass der “tipping point” zu spät kommen wird. Wir müssen vorher schon alle Werkzeuge bereit halten. Auch da besteht die Hoffnung, dass ländliche Regionen und Kleinstädte diesen Kipp-Punkt besser überstehen werden als Großstädte, in denen es extreme Probleme geben wird.
There are those who feel we need to organize ourselves more efficiently (the way the Right has done in the United States), and those who suggest that there is strength in our natural diversity or that networked systems organize themselves. Where do you stand on this question?
Beides wäre relevant: Die Theorie sollte vielfältige Modelle entwerfen, die Praxis sollte diese erproben, die Verbandstätigkeit sollte Sprachrohr für die Bewegung werden.
Ausserdem müssen die Initiativen ihre Erfahrung offensiver kommunizieren, das tun noch viel zu wenige. Die Wissenschaft muss lernen aus praktischen Erfahrungen wissenschaftliche Deutungen abzuleiten und nicht nur immer neue Modelle zu entwickeln.
Aber ein Dachverband ist nur so gut wie die einzelnen Initiativen. Sich treffen und drüber reden ist aber immer viel leichter als tatsächlich zu Tat zu schreiten. Viele dabei hat mit der Überwindung von Ängsten und Verlustängsten zu tun und dieses braucht ein Vertrauen in die Gemeinschaft, dass nur durch Geben und Nehmen entstehen kann. Aber Jemand muss eben mit dem Geben anfangen.
A lot of valuable community-building initiatives in this movement are done by dedicated people, as a labor of love, but would often highly benefit from actual financial support. if you were given $10,000 to $50,000 to invest in strengthening the currency movement, how would you invest these funds?
Die KW Bewegung muss verstehen lernen, dass Leistung aus sich heraus auch wirtschaftliche Vorteile generieren kann. Auch leistungsgedeckte Systeme können Bedürfnisse abdecken, ohne dass je ein Euro fließt.
Die Aktiven sollen durch ihre Aktivitäten und Leistungen ihren Unterhalt generieren: z. B. über Mitgliedsbeiträge und Provisionen, natürlich auch in Form von Regionalgeld. Ich tue mich schwer damit, Regiogeld zu predigen aber den Euro-Beutel aufzuhalten.
Einen solchen Betrag würde ich allein dafür verwenden, verständliches PR Material zu erstellen, und z.B. zur Erschliessung von EU Matching-Funds. Ich denke vorne und hinten noch eine Null dran müsste, um wirklich auf der nächsten Ebene etwas zu bewegen und flächendeckend Initiativen zu initiieren.
Was sind sonst deine Erfahrungen aus 15 Jahren erfolgreichen Aufbaus eines der prominentesten Systeme in Europa und Netzwerkarbeit?
Unsere Grunderfahrung ist, dass ein gewisses Maß an Idealismus immer Grundvorraussetzung ist, dass aber gleichzeitig praktische Handlungen vorzeigbar sein müssen, um überhaupt über das Thema im größeren Rahmen reden zu können. Wenn ich nur eine Idee verkörpere aber die noch nie gelebt habe, bin ich unglaubwürdig. Diese Diskrepanz ist gerade in Deutschland weit verbreitet. Viele Initiatoren haben Publikationen zum Thema geschrieben aber von der Praxis keine Ahnung.
Die Bewegung wird nur von Praktikern ausgehen, nicht von den Theoretikern. Viele die mit Euphorie in die Konzeption einsteigen, ohne die Praxis zu bedenken, sind schnell ausgebrannt. Es ist schade zu sehen, wie die Leute ihre Energie für die Modellierung verwenden.