Interview-Essay: Bernard Lietaer, 2011

Dieser Text ist ein Ausschnitt eines Interviews mit Bernard Lietaer, das 2011 im Sammelband “Ende oder Neubeginn” im Flensburgerhefte Verlags erscheinen ist.

 Leander Bindewald: Herr Lietaer, bereits in ihrem Buch von 1999, “Das Geld der Zukunft”, beschrieben sie unsere heutige Zeit als eine, in der vier globalen Krisen zusammenfallen: Demographischer Wandel, Strukturelle Arbeitslosigkeit, Klimawandel und Verlust der Artenvielfalt, Finanzinstabilität.

Jede dieser vier würde ausreichen, um uns in den Abgrund zu stürzen. Keine dieser vier, schreiben Sie, lässt sich lösen, wenn wir nicht erst unser Geldsystem fundamental überdenken. Nun sind über zehn Jahre seit dem Erscheinen dieses Buches vergangen, und momentan verdrängt die globale Finanzkrise alle anderen Krisen von den Bildschirmen und aus dem Bewusstsein vieler Menschen. Mit der Angst um die Stabilität des Euros ist dieses, oft sehr abstrakte Problem sozusagen in unser aller Geldbeutel angekommen. Gibt es denn noch Hoffnung auf eine Rettung unseres Geldes?

Bernard Lietaer: Über den Euro zu spekulieren ist aus einem einfachen Grund müßig: Seit den 1970er Jahren hat die Weltbank 96 Banken-Crashs und 176  Währungskrisen registriert. Überall auf der Welt. Und jede dieser Krisen hat ihre eigene Geschichte. Argentinien in Jahre 2001 hatte völlig andere Gründe als die Krise in Mexico 1994 oder in Russland 1998.

Wir können nur mit Sicherheit sagen, dass alle Währungssysteme der Welt im Grunde nach dem selben Muster gestrickt sind, und die großen Währungen wie Euro und Dollar da keine Ausnahmen sind. Im Gegenteil, als wir den Euro entwarfen, war uns bewusst, dass wir ein noch unvollständigeres und anfälligeres System schufen. Aber von Anfang an hatten wir allein den Auftrag, uns nur um die rein technischen Aspekte zu kümmern und uns nicht in die politische Dimension einzumischen. Es hieß, darum würde man sich später kümmern. In den vergangenen dreißig Jahren wurde diese Aufgabe jedoch nie angegangen. 2001 stellte Romano Prodi als Präsident der Europäischen Kommission fest: “Der Euro ist gesund, jedoch haben wir keine Möglichkeiten einer Krise zu begegnen.” Und niemand hat diesen Handlungsbedarf ernst genommen, bis die Krise da war.

Nun macht es keinen großen Unterschied mehr festzustellen, was in Irland schief lief und was Griechenland hätte anders machen müssen. Diese Unterschiede berühren immer nur die Oberfläche des Problems. Egal ob es sich um eine Bankenkrise handelt, die sich zu einer Staatsschuldenkrise entwickelt wie in Irland, oder ob politisches Versagen und Korruption zu einer Schuldenkrise und dann zu einer Währungskrise führen, letztlich sind dies alles nur Beispiele für die tausendfachen Möglichkeiten, für das vorprogrammierte Scheitern unseres Finanzsystems.

Man kann sich das wie ein gebraucht gekauftes “Montagsauto” vorstellen.  Im Nachhinein lässt sich immer der unmittelbare Grund angeben, warum es liegen blieb. Aber schon vorher war klar, dass es einfach nur ein altes defektes Fahrzeug ist. Viele Leute versuchen unsere Probleme auf die schlechten Fahrer zu schieben, oder behaupten unsere Straßenkarten wären fehlerhaft, oder die Reifen wären abgefahren. Aber alle diese Faktoren lenken nur davon ab, dass wir von Anfang an mit einen schrottreifen Fahrzeug unterwegs sind.

Und leider können sich die meisten Menschen nicht einmal ein anderes Fahrzeug vorstellen. Seit zwei Jahrhunderten kennen wir nicht anderes als eben unser durch Bankschuld geschöpftes Geld.

Aus Wikipedia/Geld :

 Geld kann durch das Zusammenspiel von Zentralbank, Kreditinstituten, Unternehmen, privaten Haushalten und öffentlicher Hand geschaffen werden. Der häufigste Weg der Geldschöpfung basiert auf der Gewährung von Krediten.

Die Kreditinstitute können Geld auf Sichtguthabenkonten schöpfen, indem sie ihren Kunden gegen die Verpfändung von Sicherheiten (Hypotheken auf Grundstücke, Wertpapiere) Kredite gewähren. Nach Gewährung des Kredits kann der Kreditnehmer von einem Konto bei seiner Bank aus über ein Guthaben bis zur Höhe des gewährten Kredits verfügen und davon Zahlungen per Überweisungen auf Konten anderer Kunden der gleichen oder anderer Banken vornehmen lassen oder darauf Schecks ausstellen oder sich Bargeld auszahlen lassen. Durch diesen Vorgang wird Geld geschaffen.

Da das neu geschaffene Geld den Kreditinstituten wieder als Basis für weitere Geldschöpfung dienen kann, gibt es theoretisch keine obere Grenze für die Menge des von den Kreditinstituten geschaffenen Geldes.

Aus Wikipedia/Geldschöpfung:

Unter den derzeit üblichen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen kann nur eine verschuldete Gesellschaft über werthaltiges Geld verfügen. Bis auf wenige Ausnahmen ist in der gängigen Sichtweise der Banken alles Geld von vorn herein mit Zins belastet. Das Zahlen von Zinsen an die Geld erzeugenden Banken ist demnach die Voraussetzung für das Vorhandensein von Geld. Banken erzeugen bei der Kreditvergabe stets zusätzliches Geld, das vorher nicht vorhanden war und können durch Ankauf werthaltiger Aktiva Geld erzeugen.


Unser Geldsystem ist die Basis unserer politischen Systeme

L.B.: Und nach ihren direkten Erfahrungen während der Entwicklung des Euros scheint für unser politisches System ähnliches zu gelten wie für unser Finanzsystem. Wie gehören die beiden zusammen?

B. Lietaer: Ich würde sagen, dass unser Geldsystem heute die Basis aller anderen Institutionen darstellt, die politischen eingeschlossen. Im seiner extremen Form sieht man das in den USA, dort ist es ganz unverhohlen. Es gibt klare Tarife dafür, sich für die Wahl in ein Gremium zum Beispiel des Schulamtes zu stellen, oder gar zur Gouverneurs Wahl anzutreten. Das Geld ist natürlich primär für den Wahlkampf nötig, aber unter einem Budget von zig Millionen Dollar braucht man überhaupt nicht erst über eine Präsidentschaftskandidatur nachdenken.

Außerdem würde ich auch nicht mehr sagen, dass wir in einer Demokratie leben, eher in einer Lobbykratie. Und in einer solchen geht es allein um Geld. In Washington zum Beispiel kommen auf einen Abgeordneten drei hoch bezahlte Lobbyisten des Bankensektors. Und bei den praktisch unbegrenzten Geldmitteln die diese zur Verfügung haben, um ihre Interessen voran zu bringen, braucht man sich auch keine Illusionen darüber machen, wen die Politik am Ende repräsentiert. Und in Brüssel gibt es nicht einmal Daten über diese Verhältnisse.

Auf diese Weise ist die Verzahnung unseres politischen Systems und unserer Finanzsysteme ganz offensichtlich, aber es geht sogar noch weiter. Denn das gleiche gilt ebenso für unser Bildungssystem, unsere Nahrungsmittel und unser Gesundheitssystem. Tatsächlich haben wir kein Gesundheitssystem mehr, sondern ein Medizin-System. Geld lässt sich nur mit kranken aber noch lebenden Menschen verdienen, deshalb ist dieses System auch nicht darauf angelegt zu heilen, sondern lebende Menschen krank und  kranke Menschen am Leben zu erhalten.

In dieser Verflechtung eigennütziger Interessen ist es schlicht unmöglich den Blick für die grundlegenden Problem frei zu lassen. Deshalb rede ich auch ungern über die einzelnen Krisen, auch nicht über die monetären, sondern vorzugsweise über ihre Gemeinsamkeiten.

L.B.: Im Schnittpunkt dieser Verflechtungen und der Regelmäßigkeit von Finanzkrisen, von der Sie zuvor sprachen, frage ich mich, ob solche Krisen nicht sogar vorgesehen sind. Haben unsere Systeme denn ein Interesse an ihren ständigen Zusammenbrüchen?

B. Lietaer: Ich würde nie bestreiten, dass es Wege gibt, aus diesen Krisen Kapital zu schlagen. Jedoch würde ich nicht soweit gehen, zu behaupten, dass diese Krisen beabsichtigt sind. Aber nachhaltig wird unser System nie funktionieren können, es muss immer wieder scheitern.

Das ist so mit allen Prozessen exponentiellen Wachstums. Wenn die Grenzen ihrer Umgebung ausgereizt sind, ist die einzige verbleibende Möglichkeit der komplette Zusammenbruch und Neustart. Und da exponentielles Wachstum auch eine der eingebauten Eigenschaften unseres heutigen Geldsystems ist, sind die sich wiederholenden Aufschwünge und Einstürze der einzige Weg, es am laufen zu halten. Natürlich gibt es nachhaltige Alternativen, theoretisch, aber nicht in dem System wie wir es kennen.

Aus Wikipedia/Josephspfennig:

Richard Price, ein englischer Moralphilosoph, Geistlicher und Ökonom, berechnete im Pamphlet “An Appeal to the Public on the Subject of National Debt“ im Jahr 1772 die schwer vorstellbaren Beträge, welche durch exponentielles Wachstum aufgrund von Zinseszinseffekten rechnerisch erhalten werden, anhand eines zu Christi Geburt angelegten Pennys:

„Geld, das Zinseszinsen trägt, wächst anfangs langsam; da aber die Rate des Wachstums sich fortwährend beschleunigt, wird sie nach einiger Zeit so rasch, daß sie jeder Einbildung spottet. Ein Penny, ausgeliehen bei der Geburt unsers Erlösers auf Zinseszinsen zu 5%, würde schon jetzt zu einer größeren Summe herangewachsen sein, als enthalten wäre in 150 Millionen Erden, alle von gediegnem Gold.”

Zum selber rechnen: www.offerio.de/zinseszins-rechner.php

 

Der blinde Fleck im Zentrum unserer Gesellschaft

L.B.: Wie kann es denn sein, dass die Alternativen, über die wir noch sprechen werden, noch nach hunderten Krisen den meisten Menschen, auch den sogenannten Experten, noch immer unbekannt sind? Warum lernen wir nicht aus unseren Fehlern?

B. Lietaer: Die theoretischen Erkenntnisse lagen bereits vor 100 Jahren vor. Während der großen Depression der 1930er Jahre machte der “Chicago Plan” dazu konkrete Vorschläge und hatte die breite Zustimmung aller wichtigen Ökonomen dieser Zeit. Trotzdem wurde er von der Politik nicht aufgenommen. Dies ist keine Frage des Wissens, sondern der Möglichkeit diesem Wissen zur breiten Wahrnehmung zu verhelfen.

Ich beschreibe diese offensichtliche Unfähigkeit unserer Gesellschaft, sich dieses Themas anzunehmen, als unseren monetären blinden Fleck. Und dieser ist von vier Hüllen geschützt:

Zunächst gibt es da die historische Schicht. In 5000 Jahren Kulturgeschichte waren Geldsysteme wie das unsrige stets eines der Merkmale patriarchalischer Herrschaftssysteme: Eine einheitliche Währung, mit positivem Zins belegt. Deren Effekte der Umverteilung von unten nach oben spiegeln stets die patriarchalischen Machtverhältnisse wieder. Einer steht an der Spitze und seine Untergebenen sind ebenfalls wieder die uneingeschränkten Herrscher ihrer Subsysteme, bis hinunter zu den Frauen, Kindern und Sklaven. Und in einer solchen Struktur werden natürlich auch solche Geldsysteme aufrecht erhalten, die dieser Hierarchie entsprechen und Reichtum nach oben durchreichen. Unser durch Banken geschöpftes und mit Schulden belastetes Geld ist dabei natürlich nur die letzte, erst rund dreihundert Jahre alte Stufe einer langen Entwicklungsreihe.

Die zweite Lage um den blinden Fleck ergibt sich aus dem tiefgreifenden Kampf der Weltanschauungen, der uns etwas mehr als einhundert Jahre, und, in seiner extremen Form, vor allem in den 60 Jahren vor 1990 vereinnahmte. Der Auseinandersetzung zwischen Kommunismus und Kapitalismus wurden hunderttausende von Büchern gewidmet. Jedoch gibt es kein einziges Buch über die Gemeinsamkeiten der zwei Ideologien: ihr Geldsystem. Die Sowjets haben alles in Zweifel gezogen, außer dem Geld an sich. Ihre Banken gehörten zwar dem Staat, aber ansonsten waren sie die gleichen wie im Westen. Wiederrum gab es für die Frage nach dem Geld keinen Raum, wir waren alle zu sehr abgelenkt.

Die übermächtige Bankenlobby, von der wir schon geredet haben, ist die dritte Lage des blinden Flecks in Sachen Geld. In meiner Heimat Belgien war seit der Gründung unseres Staates 1830 jeder Finanzminister ein Banker, ohne Ausnahme. Und Banker sind gerade nicht die unabhängigen Experten, als die sie uns ihre Lobby zu verkaufen sucht. Sie stellen in unserer Gesellschaft tatsächlich das Zentrum der praktischen Macht dar.

Auch unsere Zentralbanken erscheinen oft als die Garanten des Gemeinwohls. Und die Menschen, die dort arbeiten, sind persönlich auch fest davon überzeugt, dass dies ihre Aufgabe ist. Aber weil es für sie keine denkbaren Alternativen gibt, werden Banken und ihre Angestellten immer nur einer Aufgabe gerecht: das bestehende System weiter fortzusetzen. Als ich dies vom damaligen Generalsekretär der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in Basel, der mich aufgrund meiner Bücher über die Finanzkrisen Südamerikas zu sich bestellt hatte, persönlich bestätigt bekam, habe ich bei der belgischen Zentralbank gekündigt.

Die vierte Schutzschicht schließlich ist eine akademische Hülle, die sich teilweise aus der vorherigen ergibt. Dazu muss ich wohl einräumen, dass ich zwar oft als Akademiker bezeichnet werde aber tatsächlich nur bisweilen den Akademiker spiele, um mich mit einem Thema in Ruhe auseinandersetzen zu könne. Ich habe aber nie eine akademische Laufbahn angestrebt oder mich im Wettrennen um Veröffentlichungen und Auszeichnungen eingereiht.

Am deutlichsten wurden mir die Funktionsweise dieser Schicht nach einer Konferenz in Korea, als mich der Nobelpreisträger Paul Krugman nach meinem Vortrag im Vertrauen darauf aufmerksam machte, dass ich soeben die schärfste Warnung seiner Lehrväter aus Harvard missachtet hätte: Man habe als Akademiker die Finger vom Geldsystem zu lassen. Das beste Beispiel warum das so wichtig ist, ist der sogenannte Wirtschaftsnobelpreis an sich. Er wurde eben nicht von Alfred Nobel gestiftet und wird von einem Komitee der schwedischen Nationalbank verliehen. Und in seiner über 50jährigen Geschichte wurde er nie an jemanden verliehen, der diese Regel missachtet hatte.

L.B.: Als cleverer Wissenschaftler wird man dieses Thema also ausblenden, Politikern sind die Hände mit Honig gebunden, alle engagierten Denker waren in ideologischen Stellungskämpfe eingebunden und wir alle zusammen saßen einen Jahrtausende altem Brauch auf, der unserem Kulturkreis ganz normal erscheint.

B. Lietaer: Und genau dieser letzte Punkt ist, wo es ganz persönlich wird: Heute fällt es uns leichter jemanden zu fragen mit wem er die letzte Nacht verbracht hat, als dieselbe Person nach ihrem Einkommen zu befragen. Geld ist ein Tabu.

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